Originalartikel: How a German-Christian soldier became a hero in Israel’s Gaza War
von: Hila Timor Ashur, 1. Februar 2024
Wie ein deutsch-christlicher Soldat ein Held in Israels Gaza-Krieg wurde
Die einzigartige Geschichte von Urija Bayer, einem israelisch-deutsch-christlichen Kampfsoldat der IDF-Maglan-Kommandoeinheit, der im Kampf in Gaza gefallen ist
Jeden Morgen hallt das Dröhnen der Artillerie-Kanonen in der nördlichen Stadt Ma’alot-Tarshiha wider. Immer mal wieder ist es eine düstere Erinnerung an den Krieg, der täglich an der Nordgrenze Israels ausgetragen wird. Eine Metallschranke blockiert den Eingang zu dem schmalen Durchgang, der diejenigen, die zum Trösten der Trauernden kommen, darauf hinweist, ihr Auto in einer anderen Straße zu parken und zu Fuß zum Haus zu kommen. Die Familie kommt gerade aus der ‚Shiva‚ oder der eine Woche andauernden Trauerzeit der Familie.
Die Fotos des Sergeanten First Class Urija Bayer sind noch an der Schranke angebracht. Er war ein Kampfsoldat in der Elitekommandoeinheit Maglan, der am 14. Dezember während eines Kampfes im südlichen Gazastreifen schwer verwundet wurde. Er war erst 20 Jahre alt, als er an seinen Verwundungen starb. Ein handgeschriebenes Schild ist am Eingang der Straße angebracht: „Geliebte Soldaten, wir hoffen und beten für eure Sicherheit.“ Es ist mit einem roten Herzen und Davidsternen verziert und die ganze Straße entlang wehen israelische Fahnen im Wind.
Tarabin, ein Repräsentant der Abteilung für Familien und Gedenken des Verteidigungs-Ministeriums sitzt Nelly und Gideon, Urijas Eltern, gegenüber. Er erklärt den neu Trauernden ihre Rechte. Leika, ein schwarzer ausgebildeter Hund liegt auf dem handgewebten Teppich, eine Arbeit von Nelly. Yonah, eine schwarzweiße Katze, die ihre älteste Tochter Rachel diese Woche mitgebracht hat, spielt mit einem Tischtennisball unter den Beinen der Gäste. Das Wohnzimmer ist randvoll mit Kränzen, die meisten davon sind leuchtend orangefarbene Sternblumen, passend zu den orangefarbenen Vorhängen. Gideon, Urijas Vater wiederholt den Satz, den er gegenüber so vielen Besuchern, die gekommen sind, um die Trauernden während der sieben Tage andauernden Shiva Trauerzeit zu trösten: „Gott macht keine Fehler, es ist nur so, dass wir ihn nicht immer verstehen.“ Er fragt die Repräsentanten des MOD [Ministry of Defense – Verteidigungsministerium], ob sie irgendwelche Erwartungen an sie als trauernde Eltern am Memorial Day [Gedenktag für gefallene Soldaten] hätten. Der Repräsentant, Tarabin, ein Druse, berichtet, dass die Menschen aus seinem eigenen Dorf erst in den letzten Jahren damit begonnen hätten, das Grab der Gefallenen zu besuchen: „Das hängt von dir ab.“
Die Mutter, Nelly, eine zierliche und hübsche Frau, sagt, dass sie ein einfaches Grab möchte. „Genau wie das Dorf, in dem ich in Deutschland aufgewachsen bin. Mit vielen schönen Blumen. Er war so schön, dass wir Kinder gerne dort auf dem Friedhof gespielt haben.“ Gideon ergänzt: „Ich ziehe es vor, so lange zu warten, wie es nötig ist, damit der Grabstein von guter Qualität sein wird, nicht einer, der zerbröckelt und auseinanderfällt.“
Nelly und Gideon besprechen sich auf Deutsch. Dieses deutsch-christliche Paar wird von einem drusischen Repräsentanten der IDF beraten bezüglich des Grabes ihres Soldatensohns, ein Kämpfer einer Eliteeinheit der IDF. Gideon spricht Hebräisch ohne Akzent, gewürzt mit modernem Slang. Im Alter von zwei kam er mit seinen Eltern, Yochanan und Kristal, nach Israel, die 1972 über die deutsch-christliche Organisation „Zedeka“ hierher gesandt wurden.
Das Ziel der Organisation war die Errichtung eines Feriendorfes für Holocaust-Überlebende im Moshav Shavei Zion nahe des nördlichen Küstenortes Nahariya. Dann fuhr die Gruppe fort, das Seniorenwohnheim Beit Eliezer in Ma’alot-Tarshiha zu errichten, wo die Großfamilie als Team mit christlichen Volontären aus Deutschland arbeiten und hochwertige Dienste für die Holocaust-Überlebenden anbieten. Die Gasse gleicht einem kleinen Kibbuz, wo die Familie neben dem Altersheim lebt. Die betagten Bewohner, die Holocaust-Überlebenden, bezahlen nach ihren finanziellen Möglichkeiten. Die Familienmitglieder bekommen für ihre Arbeit ein kleines Budget, wie alle Volontäre. Die Arbeit wird von der Organisation in Deutschland finanziert.
„Die Fliege mit einem gebrochenen Bein“
Vor dreieinhalb Jahren, nach Ausbruch der Covid19-Pandemie, habe ich die Familie interviewt. Damals schützten sie die Holocaust-Überlebenden vor der Pandemie und schlossen sich zusammen mit ihnen in das Seniorenwohnheim ein. Nun kehre ich zu ihnen zurück, nachdem sie gerade ihren kostbarsten Schatz verloren hatten. Urija, der vierte von ihren fünf Kindern, wurde im Krieg im Gazastreifen getötet. Durch das ganze Interview hindurch, lehnten sich Nelly und Gideon aneinander und von Zeit zu Zeit umarmten sie sich auch. Sie trösteten einander, indem sie sich an ihren Familienhumor klammerten und Tränen vergossen.
Sie lieben es, bescheiden und weit entfernt vom Rampenlicht zu leben, waren aber einverstanden, als Teil ihrer allgemeinen Berufung interviewt zu werden. „Tröstet, tröstet Mein Volk, Sagt eurer Gott“, heißt es im Buch Jesaja, was für sie ihren grundlegenden Auftrag unterstreicht, das Volk Israel zu trösten, sogar in seinen schwersten Zeiten. Sie hoffen aufrichtig, dass dieses Interview wenigstens etwas Hoffnung gibt.
Urija hatte eine enge Beziehung zu seiner Mutter, erzählt Nelly und schickt ihren Mann, um ein orangefarbiges Hemd anzuziehen. „Du solltest gut aussehen, so wie ich dich mag. Orange ist meine Farbe. An unserem Hochzeitstag hatte ich auch einen organgefarbigen Blumenstrauß. Als Odelia und Rachel sich der Palchatz-Einheit der IDF (Akronym für die Rettungs- und Sicherheitskompanie HTA) anschlossen, war das die Farbe ihrer Dienstmütze. Als ich sein orangefarbiges Hemd fand, lachten wir und sagten, dass wir auch zu Rescue & Safety [Rettung & Sicherheit] gehören.“
Urija war von Natur aus ruhig und sie mussten sicherstellen, dass er seinen fairen Anteil an Aufmerksamkeit bekam. Ein hübscher Junge, der seiner Mutter gelbe Blumen mitzubringen pflegte, Sauerampfer, und am Hochzeitstag seiner älteren Schwester, Rachel, überreichte er ihr einen riesigen Strauß schöner gelber Blumen.
„Er war einfühlsam. Ungefähr vor vier Monaten begann ich, im Hof einen Garten anzulegen und wenn er mich von der Armee aus anrief, fragte er, wie es mit dem Garten vorwärts ginge. Er versprach: ‚Wenn ich auf Urlaub von der Armee heimkomme, werde ich dir helfen.‘ Das ist ihm nicht gelungen“, sagt Nelly. Sie trägt seine Erkennungsmarke über ihrem geblümten Kleid. „Im Kindergarten sprach er ein ganzes Jahr lang nicht, lächelte nur und spielte. Sie wollten ihn nach Haifa zum Hörtest schicken. Ich erzählte ihnen, dass er alles verstünde und dass Gideon einen Hörtest mit ihm zu Hause machen würde.“
„Es war extrem einfach“, sagt Gideon, „ich öffnete eine Tafel Schokolade, er hörte das Rascheln des Papiers und kam sofort, um ein Stück von der Schokolade zu bekommen“, lachen sie. Nelly fährt fort: „Sie bestanden auf einen Hörtest. Ich sagte, ‚Okay, wir werden einen für euch machen‘, aber es war klar, dass alles in Ordnung war.“
Eines Tages saß der kleine Urija auf dem Balkon und las: „Mutti, Mutti, ich helfe einer Fliege, ihr Bein ist gebrochen.“ Nelly erinnert sich, wie sein Vater kam, um der Fliege zu helfen. Genau wie seine Brüder und Cousins wuchs Urija mit den Bewohnern des Altersheims auf. Er kannte sie alle, und sie nahmen alle Mahlzeiten gemeinsam im Speisesaal ein. Freitags sprachen sie zusammen den Kiddush und sangen hebräische Lieder.
Eines Tages, als Urija seinen Eltern half, entdeckte er eine Kolonne Ameisen, die auf dem Weg hinauf am Eingang des Altersheims war. Er bestand darauf, den Ameisen, „die äußerst hart arbeiteten“, zu helfen, denn eine kleine Ameise trug einen schweren Stock und er musste ihr einfach. Als er aufwuchs, liebte er es, zu Hause zu sein. „Wie Ya’akov, der daran gewöhnt war, in Zelten zu verweilen.“ Er ging auch mit Freunden raus, aber nicht mit derselben Intensität wie seine Brüder. Er mochte weder lesen noch lernen, aber trotzdem bewältigte er seine Schule mit einem charmanten Lächeln. Und die ganze Zeit über träumte er davon, in der geheimen Duvdevan-Eliteeinheit zur Terrorismusbekämpfung zu dienen.
Auch die Bewohner haben einen Enkel verloren
Nelly kam als Volontärin nach Beit Eliezer. „Nach nur sechs Monaten wusste ich bereits, dass ich Gideon heiraten würde. Ich muss voller Überzeugung gewesen sein, dass er der war, zu dem Gott mich geschickt hatte,“ sagte sie. Als sie heirateten, entschlossen sie sich nicht sofort, in Israel zu bleiben. Gideon erklärte, dass sie sicher sein wollten, an dem für sie von Gott bestimmten Platz angekommen zu sein. Schließlich gründeten sie ein Heim in Israel und redeten mit ihren Kindern bis zum Kindergartenalter Deutsch. Als sie in den Kindergarten kamen, begannen sie Hebräisch zu lernen, aber bis heute spricht Nelly mit ihnen Deutsch. Die älteren Mädchen fanden es zuerst schwierig, sich daran zu gewöhnen, in zwei Sprachen zu reden. Für die jüngeren Kinder war es viel einfacher, denn sie lernten voneinander. „Wir wollten nicht, dass Deutschland etwas Fremdes für sie ist. Gewöhnlich flogen sie jedes zweite Jahr einmal zu Besuch nach Deutschland, auch Urija.“
F.: Die Kinder wollten nie weggehen und woanders leben?
Nelly: „Sie wussten von klein auf, dass dies unser von Gott bestimmter Platz ist, das war ihnen völlig klar.“
Gideon: „In unserer Familie sprechen wir frei über alles. Du kannst alle Fragen stellen und die entscheidenden Antworten bekommen. Es war ganz klar für sie, warum wir hier sind.“
Warum? Was habt ihr den Kindern erzählt?
Nelly: „Wir helfen den älteren Menschen. Sie haben das auch erlebt und erfahren.“
Gideon erinnert sich daran, wie Urija eines Tages aus der Grundschule kam, nachdem er über den Holocaust gehört hatte und er war darüber äußerst aufgewühlt. „Ich fragte ihn: ‚Sag mir, möchtest du Holocaust-Überlebende treffen?‘ Er sagte ‚ja‘. Ich sagte ihm: ‚All unsere Bewohner sind Holocaust-Überlebende.‘ Er fragte die Großmutter dieses, den Großvater jenes und dann fiel der Groschen über den Holocaust. Sie waren für ihn wie Familie.“
Nelly: „Während der Shiva, kamen zwei Bewohner zu uns, um uns zu trösten.“
Gideon: „Eine von ihnen hatte am folgenden Tag Geburtstag und sie sagte, sie sei nicht in der Lage, zu feiern oder Menschen zu haben, die ihr singen. Die Bewohner fühlten, als ob auch sie einen Enkelsohn verloren hätten.“
„Bevor er zur Armee ging, besuchte er eine vorbereitende Militärakademie. ‚Hitzim‘ (Pfeile) ist eine vorbereitende Militärakademie mit einem dreimonatigen Kurs, der zu den messianischen Juden in Israel gehört und dort begann er wirklich aufzublühen“, sagte Gideon. „Plötzlich entdeckte er, dass er in der Lage wäre, etwas zu tun und das führte zu einer Veränderung.“
Nelly: „Er übernahm Verantwortung und nahm verschiedene Aufgaben wahr.“
Gideon: „Er blühte auf. Er bekam eine Vorladung für den gibbush (ein rigoroses Auswahlverfahren für IDF-Eliteeinheiten) für die Fallschirmjäger, er wollte Duvdevan, und als er von Maglan akzeptiert wurde, war er plötzlich zufrieden. Er bekam zweimal eine Auszeichnung für herausragende Leistungen. Jeder war überrascht und wir waren froh, dass er endlich seinen Platz gefunden hatte.“
Die Kinder sind im Reservedienst
Am Morgen des Schwarzen Sabbats am 7. Oktober, weckte Urijah seine Mutter um 7:15 Uhr morgens und bat sie, ihn nach Nahariya zu bringen. „Weder ich noch Urija sind die gesprächigsten Menschen am Morgen“, lächelte sie, „ich wollte weiter schlafen, ich bat ihn, seinen Vater zu bitten und er antwortete, dass Vater schon mit dem Fahrrad unterwegs sei. ‚Okay, dann‘, antwortete ich ihm. ‚Wenn Vater nicht zu Hause ist, dann werde ich dich bringen.‘ Ich hatte keine Idee, was vor sich ging. Alles schien ruhig und friedlich zu sein. Ich war ruhig.“
Es war nur eine Sache von ein paar Stunden, als auch Zuriel einberufen wurde, er absolviert gerade seinen regulären Dienst in einer Eliteeinheit, die Mädchen, Odelia und Rachel wurden auch zum Reservedienst berufen und das Ehepaar Bayer fand sich mit vier Kindern wieder, die zum Dienst einberufen wurden. Sie waren gezwungen, die Heimbewohner des Seniorenwohnheims aufzufordern, in das Kellergeschoss – den geschützten Raum – zu gehen und die Reservisten blieben auf dem oberen Stock. „Ich habe gebetet und gebetet. Plötzlich konnte ich nicht mehr arbeiten und ich wollte ein Schild machen für die Soldaten, das, was gerade an der Straße hängt, meine Idee, die von deutschen Volontären umgesetzt wurde,“ sagt Nelly.
Wie habt ihr es geschafft, in Kontakt zu bleiben – von dem Augenblick an, wo sie einberufen wurden?
Gideon: „Er war sporadisch. Sie waren meist ohne Telefon.“
Nelly: „Er gab mir eine Halskette mit dem Emblem von Maglan und sie ist kaputtgegangen. Während unseres ersten Telefongesprächs erzählte ich ihm das und er beruhigte mich und sagte, er würde mir eine neue Kette kaufen. Einmal fiel der Knopf an seiner Uniform ab. Wir haben eine Sammlung alter Knöpfe in der Wäsche und wir trafen die Entscheidung, ihn mit einem speziellen Knopf ohne Armeeabzeichen zu ersetzen. In einem anderen Telefongespräch erzählte er mir, dass er immer, wenn er mich denkt, diesen speziellen Knopf drückt.“
Ein Schatten zieht an Nelly und Gideon vorbei, Tränen rollten ihnen über die Wangen. Um 12:30 Uhr am 14. Dezember erhielten sie einen Telefonanruf, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass Urija schwer verwundet worden sei. Ein Taxi wurde geschickt, um sie abzuholen und sie auf einer dreistündigen Fahrt in das Soroka Medical Center nach Beersheva zu bringen. „Die Armee behandelte uns als eine Familie. Nicht ‚wie‘, sondern ‚als‘ Familie, betont Nelly.
Die letzte Frage, die ich Micha Bayer, Gideons Bruder in einem Interview vor dreieinhalb Jahren gestellt hatte, war, ob seine jungen Kinder zur Armee gehen würden. „Sicher,“ antwortete er, „meine Neffen haben wichtige Positionen in der Armee.“
Die Neffen gehören zu den Kindern des älteren Bruders Shlomo, der mit seiner Familie in Shavei Zion lebt. Während der COVID19-Pandemie blieb die Familie von Nelly und Gideon außerhalb des Seniorenwohnheims, damit sie während des Lockdowns Versorgungsgüter zu der ‚Belagerten Einrichtung‘ bringen konnte. Die älteren Kinder waren bereits in der Armee und stellten so eine Infektionsgefahr dar.
„Für die Kinder war es klar, dass sie zur Armee gehen würden, für ihre Eltern war es etwas weniger klar, für ihre Mutter überhaupt nicht,“ lächelt Gideon. „In meiner Generation gab es für uns keine so bedeutungsvolle Positionen in der Armee. Ich bin der einzige in der Familie, der einberufen wurde. Es gab ein Verfahren und sie entließen mich. Ich verstand, dass ich von größerer Bedeutung für das Seniorenwohnheim wäre als nur eine unwichtige Rolle in der Armee einzunehmen. Wir halten die Kinder weder davon ab noch kontrollieren wir sie. Wir lieben den offenen Dialog. Es ist das Recht des Kindes etwas zu entscheiden, das sich von der Meinung seiner Eltern unterscheidet, und er wird trotzdem zu Hause ein äußerst geliebter Mensch bleiben.“
Nelly: „Die älteste Tochter, Rachel, wollte als Sanitäterin in der Armee dienen und sie diente bei der Luftabwehr Hagnash. Langsam, aber sicher, habe ich zu lernen begonnen.“
Gideon: Nach drei Monaten wollte sie in eine Kampfeinheit und sie stieß bei allen, auch bei der Gemeinschaft im Ausland, auf Widerstand. Ich sagte: ‚Es ist kein Problem, wenn du zu einer Kampfeinheit gehst, ich bin nur nicht darauf vorbereitet, dass Mädchen wie Jungen sein wollen. Du sollst das geben, was du kannst, aber kopiere nicht die Jungen.‘ Wegen dieses Widerstands war sie unsicher. Ich sagte ihr: ‚Reich eine Bewerbung ein und dann lass Gott entscheiden. Wenn Gott möchte, dass du zu einer Kampfeinheit gehst, dann wirst du gehen. Und wenn nicht – dann nicht.‘ Sie hat sich beworben und sie wollten sie sofort nehmen. Ich weiß, dass Gott das so arrangiert hat. Ich weiß nur nicht wie. Ich weiß, dass Gott sie diesen Weg geführt hat. Nur ER weiß, warum das gut ist, meine Sicht ist viel begrenzter. Ich weiß nicht, warum A-B-C passiert. Das bedeutet nicht, dass ich das verstehen muss. Ich glaube nur, dass das der richtige Weg ist. Als Eltern, ich weiß nicht, dass wir irgendjemand gehen lassen und irgendetwas tun müssen.“
Nelly: „Als Yonathan, Shmuels Sohn, zum Militär ging, und dann Yair und dann Rachel, fand ich es sehr schwierig. Ich empfand es als sehr hart, mit allem fertigzuwerden. Ich komme aus einer Familie von Deutschen mit russischer Abstammung. Ursprünglich lebten wir an der Grenze zur Krim, und dort gewährte Katharina die Große meiner Familie – solange sie blieb, um das Land in Glauben und Loyalität zu bearbeiten – eine Befreiung vom (Militär-) Dienst. Ich bin aufgewachsen, nur das Gute zu tun, nicht Krieg zu führen. Nach und nach begreife ich, dass der Vers aus den 10 Geboten ‚Du sollst nicht morden‘ im Deutschen übersetzt ist mit ‚Du sollst nicht töten‘, und zwischen diesen beiden gibt es einen erheblichen Unterschied. Im Hebräischen heißt es: ‚Du sollst nicht morden.‘ ‚Du sollst nicht töten‘ – das ist die Notwendigkeit, dich selbst zu verteidigen und nicht ‚Du sollst nicht morden,‘ „Ich habe auch die Vereidigungsformel der Armee als schwierig empfunden, aber als ich zu Rachels Vereidigungszeremonie kam, war es wirklich eine erhebende Erfahrung und das war ein Zeichen für mich. Es waren 500 Menschen in der Menge und du hättest eine Stecknadel hören können und der Rabbiner las aus dem Buch Josua, ‚Das ist euer Land.‘ Es war so, als ob ich eine Botschaft direkt von Gott bekommen hätte und ich sagte ihm, ‚Gott, die Kinder gehören dir.’“
Wie hat eure Familie in Deutschland reagiert?
Wow, wow, wow,“ seufzten beide, „sie haben es sehr schlecht aufgenommen.“ Gideon erklärt: „Sie waren vom Pazifismus der Vergangenheit überwältigt und sie reagierten auch aus Unwissenheit. Aber je mehr sie sahen, was die Mädchen taten und dass sie nicht überall loszogen um Menschen zu töten, ganz im Gegenteil – sie halfen Menschen , änderten sie ihre Meinung. Odelia nahm in einem Film über Frauen in der Armee teil und das half ihnen zu verstehen. Sie sahen, dass sie nicht ihren Glauben und ihren Auftrag aufgegeben hatte. Ganz im Gegenteil.
„Wenn wir im Aufenthaltsraum saßen, erklärte ich Freunden der Gemeinde, es ist in Ordnung, wenn ihr gegen Waffen seid, gegen die Armee, ich habe kein Problem damit. Kommt und setzt euch mit mir in den Aufenthaltsraum und wir werden sprechen. Wenn sich die Armee von der Grenze weg bewegen würde, wäre es keine Frage, ob sie uns abschlachten würden oder nicht, sondern nur, wann sie kämen und es täten. Vor dem 7. Oktober war das allerdings alles Theorie. Nach dem schrecklichen Massaker, nachdem niemand sie provoziert hatte, gab es wirklich keine Ausflüchte mehr. Das war eindeutig, was dort passierte. Die Tatsache, dass sie ihre Kinder im Militärdienst erlebten, gab ihnen eine komplett andere Sichtweise. Wir haben viele Rückmeldungen aus der Gemeinde erhalten, dass sie sehr stolz auf Urija sind. „Was meinen Glauben betrifft, kann ich nicht begreifen, wie jemand sagen kann, er liebt Gott, aber das Volk Israel liebt er nicht. Ich möchte nicht, dass jemand das Volk Israel liebt, weil es ein perfektes Volk ist, das nie Fehler macht, sondern weil Gott es liebt,“ ist Gideon überzeugt.
F.: Mich würde interessieren, warum ihr euch entschieden habt, ‚Shiva‚ zu sitzen?
Nelly: „Wir waren an Großmutters Beerdigung in Deutschland und es war eine äußerst unangenehme Erfahrung.“
Gideon: „Ich bin mit Beerdigungen und Shiva aus dem Altersheim vertraut, aber hier [in Deutschland] ließen sie den Sarg in den Erdboden hinab und bedeckten ihn nicht mit Erde. Sie überließen das den Arbeitern. Ich erklärte ihnen, dass ich aus einem Land komme, wo es wirklich eine Ehre ist, an der Handlung, den Sarg mit Erde zu bedecken, teilzunehmen. Ich blieb zurück, um zu helfen, den Sarg zu bedecken und sie verstanden es einfach nicht. Dann gingen sie heim und jeder ging seinen eigenen Weg. Es war vorbei und erledigt, einfach so. Es war uns klar, dass der Brauch der Shiva allen Seiten zugute kommt – sowohl denen, die ihre Liebsten verloren haben als auch den anderen Menschen aus der Umgebung.“
Nelly: „Während der Shiva kamen religiöse Frauen herein, sie waren zögerlich. Ich kannte sie nicht und deswegen ging ich auf sie zu. Sie kamen, um uns zu erzählen, dass genau zu der Zeit, als unser Urija getötet wurde, ein Baby geboren worden war, und dann haben sich die Eltern entschlossen, ihrem Baby den Namen ‚Urija Israel‘ zu geben. Das war äußerst bewegend.
„Ich war überrascht, wie viele Menschen kamen, um mit mir zu trauern. Wir erleben das sogar noch intensiver mit unseren Freunden aus Deutschland. Sie haben keine Schulter, wo sie sich ausweinen können. Wir werden wahrscheinlich für eine zusätzliche Woche nach Deutschland fliegen, um eine zusätzliche ‚Shiva‘ für sie zu halten.
F.: Wie würdet ihr eure Gemeinschaft definieren?
„Wir sind nicht Teil einer messianischen Gemeinschaft,“ Gideon versucht etwas zu definieren, was er nicht wirklich definieren möchte. „Wir gehören keiner speziellen Gruppe an. Wir glauben an die Bibel (Tanach) und an das Neue Testament.“
Ihre Gemeinschaften sind in Deutschland und Kanada lokalisiert, und von dort kommen die Volontäre. Bei ihrer Vereidigung erhielten die Jungen, Zuriel und Urija, einen Tanach, der mit einem Neuen Testament zu einem Buch zusammengebunden und auf Englisch geschrieben war. Sie waren äußerst stolz darauf.
„Wir sind nicht hierher gekommen, um für das zu büßen, was die Deutschen getan haben, weil das nicht etwas ist, für das man büßen kann. Wir sind aus Liebe zum Volk Israel gekommen. Ich komme nicht als neutrale Person – ich komme als Deutscher, dessen Volk den Juden unermessliche Schmerzen und Leiden zugefügt hat,“ ergänzt Gideon. In den vergangenen Monaten hat er daran gearbeitet, das Altersheim auf 72 Betten nach deutschem Standard (ein Bett pro Raum) zu erweitern und das Gesundheitsministerium hat das für uns genehmigt“, erklärt er mit großem Stolz.
Warum sollten sie es nicht genehmigen?, frage ich. Nelly lacht als ob ich nicht vertraut wäre mit der schwerfälligen bürokratischen Vorgehensweise der Regierungsbehörde, und dann zwinkert sie Gideon zu: „Was, das bedeutet, dass wir nicht zusammen in denselben Raum sein werden?“
F.: Warum Holocaust-Überlebende aus allen Völkern?
„Die Idee der Organisation ist, zu versuchen, etwas Gutes für die Überlebenden zu tun wie der barmherzige Samariter aus dem Neuen Testament, Öl in ihre Wunden zu gießen, sie zu verbinden und diese Menschen zu trösten, die solches Leiden ertragen haben.“
F: Was werdet ihr tun, wenn es keine Holocaust-Überlebenden mehr gibt?
„Wir arbeiten nach dem Vers ‚Tröstet, tröstet mein Volk, sagt euer Gott.‘ Ich wäre mehr als glücklich, wenn einmal nach dem Ende der Generation des Holocausts es niemanden aus dem Volk Israel mehr gäbe, der zu trösten ist. Jedoch, so einfach sind die Dinge nicht. Wir werden sehen müssen, welche Gruppe wir mehr trösten können. Vielleicht die Holocaust-Überlebenden der zweiten Generation oder die Opfer von Terrorismus und Kriegen in Israel. Wir haben uns noch nicht entschieden. Wir werden diese Entscheidungen zusammen als ganze Familie treffen.“
Der 84-jährige Großvater, Yochanan Bayer, schließt sich an: „Was können wir dem Volk Israel sagen? Was heute vor sich geht, ist äußerst schmerzhaft. Niemand weiß, wie dieser schreckliche Schlamassel ausgehen wird. Aber eins weiß ich: Das Volk Israel ist Gottes Volk und Gottes Augen sind das ganze Jahr hindurch auf das Volk Israel gerichtet.“
F.: Warum also fand das Massaker am 7. Oktober statt?
„Wir bekommen nicht immer Antworten. Zu fragen, was er dadurch wollte, welche Botschaft versuchte er uns zu vermitteln. Ich denke, dass wir einfach auf dem Weg Gottes gehen müssen, so sehe ich die Dinge. Wir müssen beten und uns daran halten, was Gott sagt. Nimm das Buch der Psalmen zur Hand, es gibt dir eine enorme Menge an Kraft.“
Im Übrigen ist die Familie kein großer Freund von Bier und Fußball. Urija war der einzige, der Bier mochte und seine Freunde machten Bier für ihn mit seiner Illustration – „King Beer“ [König der Biere] und Rachel stellte ein ganzes Fach Bier in den Aufenthaltsraum für seine israelischen Freunde.
Ich habe mich immer als Israelin verstanden,“ schließt Urijas Schwester Rachel, die gerade erst aus dem IDF-Reservedienst entlassen wurde. Sie hat auch das vormedizinische Studium an der Universität von Ariel abgeschlossen. „Dies ist unsere Heimat,“ sagte sie, ‚auf der Suche nach sich selbst‘ so wie es die anderen Gleichaltrigen tun. Ihre ältere Schwester, die auf einer Reise nach Lateinamerika war, wurde auch für den Reservedienst einberufen und entlassen.
Gerade als wir im Begriff waren zu gehen, kam ein Freund von Maglan, Neta, der kürzlich den IDF-Offizierskurs besucht hat und Anfang der Woche verwundet wurde, auf Krücken herein. Er hatte im Radio gehört, was mit Urjja geschehen ist und das erste, was er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus tun wollte, war die Eltern seines guten Freundes zu treffen und mit ihnen Erinnerungen auszutauschen.
Übersetzung und Links im Text: faehrtensuche