Originalartikel: We Were at the 1972 Munich Olympic Games
von Melinda Stein, 29. August 2022
Vor 50 Jahren wurden 11 israelische Athleten in Deutschland von palästinensischen Terroristen massakriert. Wir waren dort für unsere Flitterwochen.
Mein Mann Steve und ich waren per Bahn von Athen aus durch das damalige Jugoslawien und durch Österreich gereist, als unser Zug in den Münchner Hauptbahnhof einfuhr. Es war ein imposantes Gebäude mit hohen Gewölben und vielen Bahnsteigen.
Um sieben Uhr morgens frühstückten die Einheimischen mit großen Bierkrügen. Es war der 2. September 1972 und Steve und ich hatten kürzlich in New York geheiratet. Wir hatten geplant, unsere Flitterwochen mit einer gemächlichen Bahnfahrt durch Europa und Skandinavien zu begehen und sie sollten mit einer Rückkehr nach Israel enden, wo wir einen Wohnsitz hatten.
Als wir über Landkarten Strategien entwarfen und die Routen und Aufenthalte für unsere Reise auswählten, merkte Steve plötzlich an: „Hey, auf dem Weg in den Norden werden wir München passieren und das fällt genau mit den Olympischen Spielen zusammen! Vielleicht können wir einige Zeit dort verbringen, das wäre ein tolles Erlebnis!“
„Aber Schatz, zu diesem späten Zeitpunkt ist es unmöglich, dort Unterkünfte zu bekommen. Vergiss es.“
Da Steve etwas von einem Sportjunkie hat, war er entschlossen, jeden Weg zu verfolgen, um das hinzubekommen. „Hat dein Vater nicht mal erwähnt, dass er Cousins in München hat?“
Ich hatte gemischte Gefühle bei dem Gedanken, in Deutschland einen Halt einzulegen. Meine Eltern waren polnische Überlebende des Holocaust und die meisten meiner Verwandten einschließlich aller vier Großeltern waren Opfer des Nazi-Angriffs. Als der Krieg zu Ende war, lebten meine Eltern bis 1949 in einem Lager für Vertriebene in der Nähe von München, als sie die Genehmigung erhielten, in die Vereinigten Staaten auszuwandern.
Für meine Flitterwochen hätte ich es vorgezogen, Deutschland aus der Wunschliste zu streichen. Aber ich gab schweren Herzens nach und meine Münchner Verwandten, ebenfalls Überlebende, boten uns an, während der Olympischen Spiele ihre Gäste zu sein.
Die Stadt selbst war wunderschön, die Atmosphäre festlich und vielsprachig. Athleten und Trainer von überall auf der Welt spazierten in ihren Jacken mit identifizierenden Länderabzeichen herum. Düfte von gerösteten, gezuckerten Nüssen von Straßenverkäufern wehten durch die Straßen. Viele Geschäfte stellten Fernseher in ihre Schaufenster, so dass die Menge den Wettkämpfen in Echtzeit zusehen konnte. Wir sahen Mark Spitz eine seiner sieben Goldmedaillen im Schwimmen gewinnen. Olga Korbuts erstaunlichen gymnastischen Darbietungen erzeugten mehrsprachigen Jubel. Später gingen wir im Englischen Garten spazieren, der Englische Garten, größer als der Central Park. Es war aufregend, den olympischen Bogenschießwettbewerben zuzusehen, die dort stattfanden und für alle frei zugänglich und kostenlos waren.
Die Planer der Spiele gaben dem Event einen Spitznamen: Die unbeschwerten Spiele. München war darauf erpicht, die Erinnerung an die Olympischen Spiele 1936 in Berlin zu verbannen. Die omnipräsenten Nazi-Embleme und Flaggen und der ungezügelte Rassismus und Antisemitismus jener Spiele würde vermutlich vergessen werden, da die aktuellen Olympischen Spiele reibungslos und freudig verlaufen würden.
Der 5. September war ein Tag, an dem keine Veranstaltungen vorgesehen waren. Wir beschlossen, einen Ausflug außerhalb von München zu einer Stadt namens Garmisch-Partenkirchen zu machen. Es ist eine alpine Skistadt und war Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1936. Es ist auch der Standort mit dem höchsten Berg, der Zugspitze, und einer unglaublich schönen Aussicht.
Während wir auf die Seilbahn warteten, die uns zum Gipfel transportieren sollte, schnappten wir eigentümliches Gemunkel der anderen auf, die auf die Seilbahn warteten – irgendetwas über eine Art palästinensischen Terrorangriffs an diesem Morgen im Olympischen Dorf. Auf unserem Weg den Berg hoch wurden die Gerüchte von einem englischsprachigen Passagier bestätigt und dass der Anschlag gegen die Mitglieder der israelischen Olympia-Delegation ging. Wir waren geschockt und entsetzt und sobald wir den Gipfel des Berges erreichten, kehrten wir um und gingen wieder hinunter, um hastig nach München zurückzukehren.
Wir fanden heraus, dass zwei Mitglieder des israelischen Teams kaltblütig ermordet worden waren, einer der Leichen verstümmelt und vom Balkon geworfen wurde und dass die neun anderen Athleten von den Terroristen als Geiseln festgehalten wurden. Die Fernsehberichterstattung war an diesem Nachmittag fast gänzlich in Deutsch und ließ uns frustriert in unserem Wunsch zurück, die aktuellsten Nachrichten herauszufinden. Der Auftritt des vermummten Terroristen auf dem Balkon des israelischen Athletengebäudes (und nun berühmtes Video) ließ einen das Blut in den Adern gefrieren.
Der Korrespondent der News, Jim KcKay, erschien plötzlich und übertrug die Situation in Englisch. Wir erfuhren, dass die Bande von Terroristen mit Leichtigkeit über den Zaun des Olympischen Dorfes gestiegen war, mit Reisetaschen voller Munition und Maschinengewehren und schnurstracks zu den Athleten aus Israel eilte. Wir saßen vor dem Fernseher und unsere Emotionen liefen Amok vor Angst und Wut. Es schien unmöglich, dass es dort außer dem dürftigen Zaun keine weiteren Sicherheitsvorkehrungen gegeben hatte, um die internationalen Wettkampfteilnehmer zu schützen.
Gerade bevor wir uns bettfertig gemacht hatten, gab es Gerüchte, dass eine Einigung erzielt worden wäre und die Geiseln freigelassen würden. Der Plan schien zu sein, dass die Geiselnehmer die neun Athleten zum Münchner Flughafen von Fürstenfeldbruck bringen würden. Dort wären vier oder mehr deutsche Scharfschützen für den Fall, dass die bewaffneten Terroristen versuchen würden, das Feuer auf ihre Gefangenen zu eröffnen. Ein Flugzeug würde auf der Rollbahn stehen, um die Palästinenser und Geiseln in einen Ort des Nahen Ostens zu fliegen. Wir gingen ins Bett mit optimistischen Gefühlen, dass die Geiseln befreit würden.
Wir wachten mit den äußerst erschütternden Nachrichten auf, dass alle neun Geiseln niedergemetzelt worden waren, doch drei der Terroristen überlebt hatten. Letztere wurden später von den deutschen Behörden freigelassen. Meine Cousins waren sprachlos und geschockt. Ich fragte mich ungläubig „Wie um alles in der Welt kann das sein? Wir haben 1972 und nicht 1942. Jüdische Leichen und Blut beflecken wieder deutschen Boden?“
Es wurde eine Durchsage bezüglich einer schnell arrangierten Zeremonie übertragen, um der ermordeten Athleten zu gedenken. Niemand von uns hatte das Bedürfnis, ihr beizuwohnen. Die Zeremonie beinhaltete nicht die traditionelle Schweigeminute für die Toten. Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees lehnte es ab, die Spiele aus Respekt vor den Trauernden zu verschieben und bestand gebieterisch darauf „Die Spiele werden weitergehen!“ Steve fragte sich, ob das auch die Reaktion gewesen wäre, wenn das Massaker 11 amerikanischen Athleten das Leben gekostet hätte.
Steve und ich gingen nach draußen, nachdem wir genug hatten von der Berichterstattung. Die Straßen, die vor ein paar Tagen freundlich und einladend schienen, fühlten sich nun gefühllos und hartherzig an. Wir schauten uns an – angewidert und sagten uns „Wir müssen raus von hier.“ Wir stornierten den Rest unserer Hochzeitsreise, nahmen einen Zug in die Schweiz und von dort einen Flieger nach Israel.
Experten haben zahlreiche Fehler in der Handhabung der Sicherheitsmaßnahmen für alle Athleten gefunden. Angefangen bei dem Mangel an adäquaten Schutzmaßnahmen des Dorfes bis hin zum misslungenen Versuch der Polizei, die Geiseln zu retten, wurden Fehler über Fehler gemacht. Ein Experte für Veranstaltungssicherheit hatte vorgeschlagen, Wochen vor den Spielen, dass die Athleten nach Sportarten untergebracht werden sollten und nicht nach Ländern – Schwimmer in einem Bereich, Leichtathletik in einem anderen, usw. Das hätte jede Art von Zwischenfällen gegen eine bestimmte Nationalität verhindert. Die Idee wurde über den Haufen geworfen.
Manche glauben, dass die zuständige Polizei es abgelehnt hat, den Sicherheitsbeamten zu erlauben, sich zu bewaffnen oder am Ankunftsterminal oder irgendwo sonst auf dem Olympiagelände auf Waffen hin zu kontrollieren. Es wurde anscheinend eine Rechtfertigung gebraucht, um dem Image der „unbeschwerten Spiele“ Vorschub zu leisten.
Bücher sind geschrieben worden über die Tragödie von 1972, ebenso viele Filme zu dem Thema. Das Münchner Massaker zerstörte den Glauben, die Olympischen Spiele seien harmlose Wettkämpfe zwischen den Athleten der Welt. Für immer wird es danach Sicherheitsbedenken und Angst vor politischen Störungen geben.
Es hat 49 Jahre gedauert, bis das Internationale Olympische Komitee endlich der 11 Ermordeten mit einer Schweigeminute bei den Olympischen Spielen in Tokio gedachte.
Heute, ein halbes Jahrhundert später, sind wir gefordert, darüber nachzudenken, was alles schief gelaufen ist und warum. Im Gedenken an die unschuldigen Menschen, die auf tragische Weise ums Leben gekommen sind, haben wir die Pflicht, aus der Vergangenheit zu lernen, um sicherzugehen, dass solche Tragödien sich nicht wiederholen können.
Übersetzung: faehrtensuche